Die föderale
Bewältigung der
Corona-Pandemie
 

Für unser Gesundheitssystem,

Für unser Gesundheitssystem, den Krankenhausbetrieb eingschlossen, war die Corona-Pandemie gerade zu Beginn eine enorme Herausforderung. Die Bevölkerung war verunsichert, die Politik musste schnell Maßnahmen beschließen und das Gesundheitswesen musste sich der weitestgehend ungewissen Situation schnell anpassen.

Drohende Überforderung des Gesundheitssystems

Wir hatten es mit einem neuartigen, unbekannten Virus zu tun, einer unsichtbaren Gefahr. Es gab keine relevanten Vorkenntnisse und bis dahin kaum signifikante Studienbefunde und Studienergebnisse. Das hatte zur Folge, dass der Weg des Einwirkens auf die Pandemie schwierig und von vielen Unwägbarkeiten, Kurven, Sackgassen und auch Rückschlägen geprägt war. Eine vorgegebene zentrale landesweite Grundstruktur, ein Rahmen, ist deshalb wichtig gewesen, genauso wie föderale, regionalspezifische Einschätzungen, Handlungsanweisungen und Verfahrensanleitungen. Man sah ja: In Bayern waren hohe Infektionszahlen, in Sachsen-Anhalt und insbesondere in meinem Landkreis Mansfeld-Südharz gab es nur geringe Infektionsraten. Eine regional angepasste Verfahrensweise und Handlungsanweisung waren sinnvoll. Natürlich gab es auch in Sachsen-Anhalt Hotspots, Orte, wo dann strikte Quarantäne, Isolierung, Abschirmung notwendig wurden. Aber das konnte eben regional begleitet werden.

Zu Beginn der Pandemie hatten alle Menschen die bewegenden und auch grausamen Fernsehberichte über die Zustände in den Krankenhäusern in China, in Italien und Spanien vor Augen, mit den doch unfassbar vielen Toten, dem Leid, der Hilflosigkeit und der kollabierenden Gesundheitssysteme in diesen Ländern und dem am Rande der Erschöpfung arbeitenden medizinischen Personal. Dieses Szenario näherte sich so langsam Deutschland von Süden und Westen her. Es gab viele offene Fragen und ungeklärte Zusammenhänge. Wir wussten aber, das Coronavirus breitet sich explosionsartig aus, hatte eine hohe Virulenz, das heißt Ansteckungsrate, eine hohe Sterblichkeit und zunehmend schwere Krankheitsverläufe mit Todesfallhäufung bei den Risikogruppen, aber auch in der ganz normalen Bevölkerung.

Dabei war einiges noch nicht sicher geklärt: die Übertragungswege, die Infektiosität und die Basisreproduktionszahl. Anfangs erschwerend kam noch das Fehlen eines spezifischen Medikaments hinzu. Es gab keinen Impfstoff, keine ausreichenden Test­kapazitäten, keinen validen Antikörpertest, eine ungeklärte Immunität und nicht zuletzt die Gefahr einer ebensolchen Überforderung unseres Gesundheitssystems wie in den Nachbarländern.

Wir wussten, dass einzelne Risikogruppen besonders gefährdet und betroffen sein würden. Die Deduktion dieser Risikogruppen war deshalb besonders wichtig. Wir waren uns auch darüber im Klaren, dass das medizinische Personal einem hohen Risiko, einer hohen Ansteckungsgefahr und einer möglichen hohen Arbeitsbelastung ausgesetzt sein würde. Li Wenliang, der chinesische Arzt, der die Krankheit zuerst beschrieben hatte, war bereits an den Folgen von Covid-19 verstorben. Vor diesem Hintergrund, aber auch nicht zuletzt angesichts der vorherrschenden zunehmenden Verunsicherung und Angst waren die Krankenhäuser in Deutschland gezwungen, schnell und gezielt zu handeln. Die Corona-Pandemie war auch für erfahrene Ärzte in Deutschland gerade in ihrem Ausmaß und den tiefgreifenden fatalen Folgen etwas Neues.

Heute, im 30. Jahr der deutschen Einheit, finden immer noch Auseinandersetzungen statt, wobei es zumeist um eine wie auch immer geartete Unzufriedenheit in Ostdeutschland geht. Dazu dürfte auch unverändert ein gewisses Fremdeln mit dem Föderalismus gehören. Ganz besonders lässt sich das vielleicht am deutschen Bildungsföderalismus festmachen. Ohne sich an dieser Stelle allzu tief auf dieses Thema einlassen zu wollen: Wenn der Philologenverband seine Ablehnung eines Zentralabiturs u. a. mit einem Verweis auf die DDR-Geschichte zu begründen bemüht ist, lässt sich die in dieser Frage ohnehin anders aufgestellte öffentliche Meinung erst recht in Ostdeutschland ganz sicher nicht überzeugen. Der Soziologe Raj Kollmorgen hat nach dem Thüringen-Schock vom Februar 2020 für Ostdeutschland grundsätzlich eine Andersartigkeit der politischen Kultur ausgemacht, in der Demokratie und Parlamentarismus mit Selbstbewusstsein, Eigensinn und Renitenz abweichend vom Mainstream der (alten) Bundesrepublik interpretiert werden. Das Demokratieverständnis in Ostdeutschland wird zum Gegenstand der Analyse. Einfach ausgedrückt lautet das Ergebnis: Der Osten ist eben anders als der Westen, womit der Endpunkt der Bonner Republik erreicht sei.

Andreas Porsche

1961 in Löbejün geboren

Leitender Oberarzt an der
Helios Klinik Lutherstadt Eisleben,
Präsident des Internationalen
Carl-Loewe-Gesellschaft e.V.

Die Aktualität des Föderalismus in der Coronakrise

Alle Menschen waren anfangs – das muss man sagen – sehr diszipliniert, einsichtig und unterstützend. Trotz großer Einschnitte hielt keiner die Maßnahmen und Handlungen für übertrieben, willkürlich oder unangemessen.

Es verschoben sich die Perspektiven und auch die Wertvorstellungen: Menschliche Aspekte, das heißt das Miteinander, die Mitmenschlichkeit traten in den Vordergrund.

Gemeinsamkeit, Hoffnung und auch Wertschätzung spielten eine sehr große Rolle. Die Pandemie erinnerte uns einfach an die Endlichkeit des Lebens – das Höher und Schneller wurde deutlich gebremst.

Ab einem bestimmten Zeitpunkt traten zunehmend aber lokale und regionale Maßnahmen in den Vordergrund. Das ist unsere Situation heute. Auch jetzt bleiben allgemeingültige und allgemeinverbindliche Richtlinien notwendig. Sie müssen auf fachlich medizinischen und wissenschaftlichen Grundlagen basieren, den RKI-Empfehlungen entsprechen und von öffentlichen Behörden, den Gesundheitsämtern und dem Gesundheitsministerium kontrolliert und gesteuert werden. Nur so ist es vertretbar, dass in sogenannten Hotspots strenge Maßnahmen und in Regionen mit geringer Infektionsrate Lockerungen möglich sind – immer aber mit engmaschiger Re-Evaluierung und zeitnaher Anpassung der Maßnahmen.

Die Grundprinzipien und Richtlinien wie das strenge Hygieneregime bzw. Konzepte wie Abstandsregeln, Mund-Nasen-Schutz, Kontaktbeschränkungen oder grundlegende Regelungen wie aktuell eben 35 bis 50 Neuinfektionen auf 100.000 Einwohner innerhalb einer Woche, die müssen weiterhin RKI-getriggert bundesweit gelten. Das kann nicht in regionaler Hand liegen. Das muss bundesweit umgesetzt werden, auch um Vertrauen zu schaffen.

Deshalb waren die zeitlich begrenzten Einschränkungen der Grundrechte einfach notwendig, genauso wie es notwendig ist, sie immer wieder zeitnah zu überprüfen, die Verhältnismäßigkeit von Maßnahmen der Beschränkung und der Lockerung gegeneinander abzuwägen – föderal wie zentral.

Die Lockerung bzw. Wiederverschärfung des Lockdowns müssen zwar entsprechend der lokalen und regionalen Gegebenheiten angepasst und umgesetzt werden. Da spielen die Unterschiede der regionalen Infektionsraten natürlich eine Rolle und das ist auch wichtig. Aber es darf zu keinem populistischen Überbietungswettbewerb kommen. Alle Öffnungsmaßnahmen müssen sinnvoll sein, die Menschen nicht gefährden, sicher sein und nicht vorschnell durchgesetzt werden. Eine Überforderung des Gesundheitssystems muss verhindert werden.

Das Netzwerk im föderalen Gesundheitswesen funktioniert

Auch die funktionierende Zusammenarbeit im föderalen Gesundheitswesen selbst, also die Zusammenarbeit zwischen Ärzten, Hausärzten, Krankenhäusern, spezialisierten Krankenhäusern und Uni-Kliniken, ist für die Bewältigung der Pandemie ein wichtiger Faktor gewesen. Wenn beispielsweise heute jemand ins Krankenhaus kommt, sollte vorher ein negativer Corona-Test vorhanden sein. Wenn wir Patienten in die Pflegeheime wieder zurückgeben, wenn wir Verlegungen machen, dann muss vorher geklärt sein, dass keine akute Infektion besteht. Auch das musste in diesem Prozess unbedingt gelernt werden. Und es gelang schnell. Das Ergebnis war: Wir waren in gewisser Weise sogar zu gut vorbereitet. Es gab zu viele Beamtungsbetten.

Es wurde prophylaktisch und angesichts der geschilderten Situationen in Italien, Spanien, fast schon zu viel getan – mit dem Ergebnis aber, dass es zu keinem Engpass bezüglich schwerkranker Covid-19-Patienten kam, dass die Infektionszahlen gering geblieben sind und entsprechend auch die Zahlen der Schwer­erkrankten relativ gering blieben, einschließlich der Todeszahlen.

Anfangs waren die Gesundheitsämter zwar überlastet, keine Frage, dann gelang die vernetzende Zusammenarbeit aber. Das Netzwerk im föderalen Gesundheitswesen funktionierte gut. Weniger erfolgreich hätten wir die Pandemie bis hierhin bewältigt, wenn die Behandlung der Covid-19-Patienten stärker zentral organisiert gewesen wäre, in zwei, drei großen Krankenhäusern beispielsweise, eins im Norden, eins in der Mitte, eins im Süden, die dann alles hätten machen können. Das hätte nicht funktioniert, weil die Patienten einfach dort, wo sie wohnen, direkt in die Krankenhäuser gekommen sind. Gerade zu Anfang wussten wir oft gar nicht: Ist das ein Patient, der infiziert ist – die Symptomatik ist ja auch relativ, ist nicht immer hundertprozentig gleich gewesen. Das heißt, oftmals hat sich erst nach ein, zwei Tagen herausgestellt, ob das ein infizierter Patient ist. Dann begann die Kette der Kontaktpersonen und Quarantäne sich zu entwickeln. Genau das aber kann so unmittelbar mit zwei, drei oder auch einem Krankenhaus pro Bundesland nicht erfolgen. Das hätte logistisch nicht funktioniert, einfach krankheitsbedingt, durch diesen Virus bedingt.

Ein Fazit

Auch die Erfahrungen und Erkenntnisse aus zurückliegenden Pandemien, die – was schnell vergessen wird – vom RKI bis hin zu konkreten Empfehlungen für die Politik ausgewertet vorlagen, waren eine wichtige Grundlage, damit die Umsetzung konkreter Maßnahmen so rasch erfolgen konnte. War zu Beginn der Pandemie unerlässlich, dass für Deutschland konsequent alles einheitlich lief, hat sich im weiteren Verlaufe dann auch die andere Stärke unserer föderalen Struktur gezeigt – die Möglichkeit, gerade weil es erhebliche regionale Unterschiede in Deutschland gab und gibt, die Maßnahmen auf die regionale Situation runterzubrechen.

Im Nachhinein lässt sich vielleicht sagen, die prophylaktischen Maßnahmen waren zu übertrieben, unnötige Überkapazitäten wurden aufgebaut. Aber in der anfänglichen Situation, mit Blick auf die Erfahrungen in anderen, schwer betroffenen Ländern, wäre es fahrlässig gewesen, wir hätten nicht aus eben diesen Erfahrungen gelernt, wir hätten sie stattdessen ignoriert. Leider haben wir weltweit gesehen, was dann passiert.

In diesem Fall ist es eindeutig so, dass es für das deutsche Gesundheitswesen und für die deutsche Bevölkerung wichtig war, lieber »über­triebene« Maßnahmen zu haben, aber dafür den bestmöglichen Gesundheitsschutz zu erhalten. Nur deshalb ist die Krankheits- und Todesfallrate im Vergleich mit anderen Ländern viel niedriger geblieben.

Zumindest regional, mit Blick auf Sachsen-Anhalt, lässt sich sogar sagen, das Land ist da gestärkt und auch in der Kommunikation gut herausgegangen.

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