Lieber Kay Scheller, in Ihren jüngsten Interviews fordern Sie harte Entscheidungen von der kommenden Regierung. Was haben Sie damit gemeint?
Kay Scheller: Einen funktionierenden und handlungsfähigen Staat zu erhalten ist ein wichtiges Ziel. Das funktioniert nicht ohne solide Finanzen. Und um die muss man ringen. Deshalb ist es in der aktuellen Situation umso wichtiger, sich zu soliden Finanzen zu bekennen – so wie es die Ampel-Koalition auch getan hat. Dann müssen aber Taten folgen und die Richtung muss stimmen. Denn klar ist: Die Schuldenregel verpflichtet dazu, wieder in eine Normallage zurückzukehren. Das setzt Grenzen.
Wenn ich aber die Ausgaben über die Einnahmen bestreiten will – ohne Steuererhöhungen, ohne wieder die Schuldenbremse zu verletzen, über enorme Kredite und Kreditermächtigungen, dann muss ich überlegen, wie ich das anders schaffe. Das heißt: priorisieren, die zentralen Schwerpunkte erkennen und darauf auch die Finanzen fokussieren. Dazu gehört auch eine mutige Aufgabenkritik und ein klarer Blick auf die Kernfunktionen des Staates.
Beispielsweise sollten die vielen Sozialleistungen auf die wirklich Schwachen, auf die wirklich Bedürftigen ausgerichtet sein. Und der Bund muss alle Risiken, vor denen er steht, auch tatsächlich ernst nehmen und den Haushalt daran ausrichten.
Sie haben sehr große politische Erfahrungen. Sie waren in Ministerien, in einer Fraktion, auch in führender Rolle. Wie würden Sie Ihrem Nachbarn erklären, was nachhaltige Finanzen sind?
Kay Scheller: Nachhaltig haushalten heißt, auch an die Menschen zu denken, die heute im Kindesalter oder noch gar nicht geboren sind. Diese dürfen wir, wenn sie mal im Berufs- und Wirtschaftsleben sind, nicht überfordern durch Belastungen, die wir heute schaffen. Das ist finanzielle Nachhaltigkeit. Das ist Gerechtigkeit gegenüber künftigen Generationen von denen, die in der Gegenwart leben und wirtschaften und Verantwortung tragen.
Welche Rolle spielt bei dieser Diskussion der Bundesrechnungshof?
Kay Scheller: Der Bundesrechnungshof schafft mit seinen Prüfungen Transparenz. Er weist auf Schwachstellen hin, auf Finanzmittel, die ins Leere gehen, also nicht ins Ziel kommen. Er achtet auf die Einhaltung von Regeln, die Ordnungsmäßigkeit und die Wirtschaftlichkeit, also das sparsame, wirtschaftliche Verwenden von Haushaltsmitteln. Dazu gehört auch die Nachhaltigkeit. Das sind die Maßstäbe, die wir anlegen. Sie stehen im Grundgesetz. Wir schauen uns alle Ausgaben des Bundes an, in den Ministerien, in der Bundesverwaltung, im Bereich der Sozialversicherungen und auch im Bereich seiner Beteiligungen an Unternehmen. Und genauso die Einnahmeseite: Nimmt der Staat das ein, was er einnehmen müsste, weil es das Parlament so über Gesetze vorgegeben hat? Funktioniert seine Steuerverwaltung, die IT in der Steuerverwaltung? Das ist ein wichtiges Thema. Die Wirtschaft, viele Unternehmen haben bereits einen kraftvollen Digitalisierungsweg hinter sich. Und klar ist: Auch die deutsche Bundesverwaltung muss viel mehr als bisher auf funktionierende digitale Dienste zurückgreifen können. Das ermöglicht es Bürgerinnen und Bürgern sowie der Wirtschaft, Anträge digital einzureichen und mit einer Verwaltung aus einem Guss zu kommunizieren, die gut untereinander vernetzt ist.
Kay Scheller
Präsident des Bundesrechnungshofes
Mitglied des Rates der Rechnungsprüfer
der Vereinigten Nationen
1960 in Kiel geboren
1981 – 1986 Studium der Rechtswissenschaften
1987 Erstes juristisches Staatsexamen
1991 Zweites juristisches Staatsexamen
1991 Staatskanzlei Mecklenburg-Vorpommern
1991 – 1994 Bundesministerium für Frauen und Jugend
1994 – 1997 Bundesministerium für Bildung und Forschung
1997 – 1999 Bundeskanzleramt
1999 – 2014 CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag, seit 2005 Fraktionsdirektor
Bundesrechnungshof
Der Bundesrechnungshof prüft die Rechnung sowie die Wirtschaftlichkeit und Ordnungsmäßigkeit der Haushalts- und Wirtschaftsführung des Bundes.
Der Rechnungshof begleitet also die normalen Verwaltungsabläufe und prüft auf mögliches Fehlverhalten hin. Gibt er aber auch Einschätzungen zur Sinnhaftigkeit und Tragfähigkeit politischer Entscheidungen?
Kay Scheller: Die politischen Entscheidungen und Rahmenbedingungen sind vorgegeben. Der Rechnungshof schaut aber beispielsweise, ob die Annahmen zutreffend sind, die zu den Entscheidungen geführt haben. Habe ich zum Beispiel den Bedarf für ein Programm richtig erkannt oder zu hoch eingeschätzt? Dann stelle ich auf Vorschlag der Regierung als Parlament viele Mittel zur Verfügung, die vielleicht gar nicht abfließen. Wenn so etwas passiert, ist ganz wichtig, dass die Verwaltung die Dinge analysiert und steuert. Und erkennt, dass das Projekt vielleicht gar nicht den anvisierten Erfolg haben wird, haben kann. Das muss sie wissen, damit sie gegensteuern, eingreifen kann. Dafür hat der Bundesrechnungshof zahlreiche Beispiele, die wir jährlich in unseren Prüfungsergebnissen und unseren Bemerkungen zusammentragen. Im Dezember 2021 habe ich wieder 39 Bemerkungen in unserem Jahresband vorgestellt. Die werden jetzt im Bundestag beraten.
Das ist das Dreieck der Finanzkontrolle: Der Rechnungshof liefert Erkenntnisse ans Parlament, das Parlament arbeitet mit den Prüfungsergebnissen, in dem es sie parlamentarisch erörtert. Dabei wiederum müssen sich die Bundesressorts, die Bundesverwaltung und letztlich auch die Regierung vor dem Souverän rechtfertigen.
Im Rechnungsprüfungsausschuss werden bis zum Sommer alle Bemerkungen beraten. Dort wird überlegt und beschlossen, wo die Defizite sind und wie sie abgestellt werden müssen, was die Verwaltung besser machen muss, und schließlich bis wann man berichtet, was getan wurde und was nicht.
Sind diese Prüfungsberichte für die Bürgerinnen und Bürger einsehbar?
Kay Scheller: Die Bemerkungen sind alle öffentlich. Ich stelle sie in einer Pressekonferenz und einer Pressemitteilung vor. Alle, die damit gerne arbeiten möchten, können sich diese Prüfungsergebnisse auf unserer Website anschauen. Das ist Teil unseres Beitrags: Transparenz in die Bundesverwaltung zu bringen, in das Finanzgebaren, in das Haushaltgebaren. Hier haben wir den Verfassungsauftrag, nicht nur zu prüfen, ob die Regierung belegt hat, was sie an Ausgaben und Einnahmen hat, sondern auch, ob die Haushaltsführung und Wirtschaftsführung ordnungsgemäß und wirtschaftlich ist. Rechenschaft abzulegen ist ein wichtiger Teil im Haushaltskreislauf.
Wie sehen Sie die bundesdeutsche Finanzpolitik aktuell aufgestellt?
Kay Scheller: Die Bundesfinanzen sind durch die Bekämpfung der Coronapandemie ins Mark getroffen. Wir haben in den Jahren 2020/2021 – das gilt auch für das Jahr 2022 – erheblichen Kreditbedarf. Der Bundestag hat erhebliche Finanzmittel bereitgestellt für Maßnahmen zum Schutz der Gesundheit und auch für die Stabilisierung der Wirtschaft und des Arbeitsmarktes. Die zur Verfügung gestellten Kreditermächtigungen sind aber nicht gänzlich in Anspruch genommen worden, teilweise waren sie zu hoch veranschlagt. Und die Mittel sind nicht unisono in die Pandemiebekämpfung geflossen, sondern auch in Fonds wie den Energie- und Klimafonds, die bei dieser Gelegenheit mitfinanziert worden sind.
Das Ergebnis ist eine enorme Verschuldung des Bundes: in einer noch nie dagewesenen Höhe, innerhalb von drei Jahren aufsummiert auf fast 500 Milliarden Euro. Das entspricht fast der Hälfte der in den 70 Jahren davor angesammelten Bundesschulden. Wir sprechen jetzt über 1,5 Billionen Euro anstelle von knapp über 1 Billion Euro, die den Bund belasten und damit die Menschen, die in unserem Land leben. Diese Verschuldung ist jetzt ein Fakt. Und diese Schulden müssen verzinst werden. Zurzeit geht das noch recht günstig, aber wir wissen nicht, was in zwei Jahren ist, was in fünf oder in zehn Jahren. Derzeit leben wir also mit einem Schuldenhöchststand, der auf eine reale Zinsänderungsgefahr trifft, weil wir eine enorme Teuerung haben. Dadurch wird dann die Finanzierung kostspieliger. Dieses Risiko kann dazu führen, dass in Zukunft auch die Handlungsfähigkeit des Staates eingeschränkter ist, auf Krisen kraftvoll zu reagieren. Und das wäre gravierend.
Hätte man mit weniger Geld auskommen können, auskommen müssen während der Coronapandemie? Die 500 Milliarden Euro entsprechen immerhin fast dem Bundeshaushalt für ein Jahr.
Kay Scheller: Richtig, und das ist natürlich gewaltig, wenn man das vergleicht mit dem Aufwand, den man während der Wirtschaftskrise, der Finanzkrise und der Staatsschuldenkrise Ende der Nullerjahre hatte. Wie gesagt, das engt den Spielraum in der Zukunft ein. Das wäre nicht so tragisch, wenn wir nicht diese enormen Herausforderungen hätten, denen wir gerade gegenüberstehen, nämlich eine Situation der Teuerung durch weniger Fachkräfte, durch weniger Material, durch Probleme bei der Materialbeschaffung, durch Logistik. Das treibt die Preise in die Höhe. Wir haben aber andererseits einen hohen Konsumbedarf. Aber gerade diese Teuerung führt sehr schnell dazu, dass man als Notenbank reagieren muss. Und wenn wir dann eine andere Verzinsung haben, dann macht das einfach die laufenden Kredite erheblich teurer. Das beeinflusst wiederum den Haushalt, weil das Geld für Ausgaben fehlt.
So dramatisch wie Corona ist, wir haben doch in den vergangenen Jahrzehnten regelmäßig, alle sechs, sieben Jahre eine Krise erlebt. Die Politik muss immer wieder mit Krisensituationen fertig werden. Ist sie darauf gut vorbereitet?
Kay Scheller: Umso mehr sind solide Finanzen Grundlage für einen handlungsfähigen Staat, gerade wenn die Zyklen der Bedrohung unserer gewohnten Finanzarchitektur kürzer werden und immer wieder neue Krisen kommen. Vor allem bei den anstehenden Aufgaben und Ausgaben: Die Anforderungen sind enorm, die Herausforderungen gewaltig. Wir haben eine Demografie, die ungünstig ist, weil immer weniger arbeitende Bevölkerung immer mehr Menschen im Ruhestand finanzieren muss. Die Leistungen dafür werden größtenteils und immer mehr aus dem Bundeshaushalt bestritten. Das kann keine Lösung der Finanznot sein. Die Politik ist gefordert, die Rentenfinanzierung auf ein solides Fundament zu stellen. Sonst muss für die Rente immer mehr Geld aus dem Bundeshaushalt, also vom Steuerzahler, kommen, was dann für andere Dinge nicht zur Verfügung steht. Deshalb ist es notwendig, zu priorisieren, zu fokussieren, die zentralen Handlungsfelder zu bedienen, aber auch Ausgaben, die nicht mehr erforderlich sind, zu streichen.
Natürlich muss man auch die Einnahmeseite erhöhen. Das will die neue Regierung nicht mit Steuererhöhungen machen, also muss sie schauen, ob man Subventionen und Steuervergünstigungen einfach über die Jahre so fortschreiben möchten oder ob man Reformansätze findet und die dann auch umsetzt.
Dazu haben wir schon viele Vorschläge gemacht und machen auch immer wieder neue Prüfungen, um da Klarheit und Transparenz reinzubringen. Bei Steuervergünstigungen spreche ich auch ganz gezielt die klimaschädlichen Subventionen an, die es reichlich gibt. Beispielsweise werden viele Busverkehre im Nahverkehr immer noch nach der Höhe des Dieselverbrauchs subventioniert. Das halte ich für sehr aus der Zeit gefallen. Wir haben im Bereich Strom und Energie viele steuerliche Tatbestände, die auch überprüft gehören.
Also, es gibt neben der Krisenbewältigung die Diskussion über die generelle Höhe der Ausgaben im Zusammenhang mit den Einnahmen. Es gibt die Debatte um die langfristigen Kosten von Demografie, Rente, Gesundheit. Dann will man das Ganze ohne neue Schulden bewältigen und wenn es geht, noch Steuern senken. Was passiert aber, wenn eine wirtschaftliche Abkühlung käme? Geht das überhaupt auf?
Kay Scheller: Das wäre natürlich fatal, wenn der Arbeitsmarkt Not leidender würde und wir wieder mehr Ausgaben für die einschlägigen Förderprogramme für die Arbeitssuchenden aufbringen müssten. Wenn wir dann noch höhere Zinsen zu zahlen hätten für die Altschulden, es eine konjunkturelle Delle gäbe und eine gehörige Inflation – das wäre natürlich eine Situation, in der noch mehr als bisher geschaut werden muss, ob die Finanzierung von Ausgabenprogrammen tatsächlich ins Ziel kommt oder nicht, ob man Förderprogramme unterhält, die häufig gar nicht nach dem Bedarf gehen. Wir können nicht alles finanzieren.
Finanzen sind ein knappes, begrenztes Gut. Das ist nicht nur ein Allgemeinplatz, sondern zwingt die Politik dazu, ihre Schwerpunkte zu setzen. Das gilt in einer Situation des Mangels umso mehr, wenn der Weg über Steuererhöhungen und der Weg über noch mehr Schulden verbaut ist.
Aufgrund der Eindrücke, die ich dank der vielen Prüfungsergebnisse der Mitglieder des Bundesrechnungshofs wirklich gesammelt habe, kann ich sagen, dass in vielen zentralen Dingen die Erkenntnis, das Wissen tatsächlich da ist. Dann kommt es darauf an, die Weichen richtig zu stellen, die notwendigen Entscheidungen zu treffen und sie umzusetzen. Es verdient eine hohe Anerkennung, wenn Politikerinnen und Politiker dieses Rückgrat haben und einen Sanierungsauftrag beispielsweise erkannt haben, sich das zu eigen machen und überlegen: Wie kriege ich das geschafft, geregelt und erklärt? Wie überzeuge ich die Menschen mitzugehen? Das ist natürlich ein schmaler Grat, unpopuläre Entscheidungen zu treffen. Aber diesen Weg hat man akzeptiert, wenn man sich politisch engagiert. Das gehört nach meinem Verständnis jedenfalls dazu. Auch der Bundesrechnungshof muss seine Prüfungsergebnisse kommunizieren und vertreten. Wir haben keine exekutiven Befugnisse, wir müssen mit Argumenten überzeugen. Deshalb stellen wir hohe Ansprüche an uns selbst. Die wichtigste Arbeit bei unseren Prüfungsergebnissen ist, Fakten lupenrein zu erheben, dann auch richtig zu würdigen und daraus die richten Empfehlungen abzuleiten.
Sie sind mit dem Bundesrechnungshof verantwortlich für die Bundesebene, tauschen sich aber sicherlich mit ihren Kolleginnen und Kollegen auf Länderebene aus. Gibt es da ähnliche Probleme? Ist die Politik auf der Länderebene ähnlich nachlässig in Fragen Prioritätensetzung? Wie ist da der Austausch mit den Kolleginnen und Kollegen?
Kay Scheller: Im System der externen Finanzkontrolle haben meine Kolleginnen und Kollegen ähnliche Herausforderungen zu meistern, auch beim Darlegen und beim Erklären ihrer Empfehlungen.
Es verdient ganz hohen Respekt, immer wieder unpopuläre, unangenehme Nachrichten präsentieren zu müssen über Schwachstellen, die aufgedeckt wurden, über Dinge, die massiv schieflaufen. Und dann auch von der Öffentlichkeit aufgegriffen und häufig skandalisiert werden.
Denn das beschäftigt dann auch eine Landesregierung, eine Ministerpräsidentin oder einen Landesfinanzminister, die sich dann kritisiert sehen. Diese Kritik kommt auf dem Fundament von Tatsachen, ist faktenbasiert. Damit umzugehen ist aber nicht einfach. Doch das ist der Verfassungsauftrag der Rechnungshöfe und steht in den Landesverfassungen und dem Grundgesetz. Diesem Auftrag kommen wir nach. Dabei sind wir richterlich unabhängig, was seinen Grund hat. Wir sind alle ausgerüstet mit einem Wahlamt, werden also auf Zeit gewählt und können nicht wiedergewählt werden. Das stärkt die Unabhängigkeit. Ich spreche da sicherlich für uns alle, dass das richtig und wichtig ist. Das ist also sehr gut und klug geregelt vom Gesetzgeber.
Aber oft wird dem Rechnungshof mitgegeben: Macht doch selber mal Vorschläge. Wie würden Sie das tun, praktisch?
Kay Scheller: Vorschläge machen wir permanent. Wir nennen sie Empfehlungen. Unser jüngster Bericht mit Impulsen in zentralen Handlungsfeldern zeigt das. Viele der Sachverhalte sind längst ausproblematisiert. Dazu geben wir klare Empfehlungen. Nun sind Entscheidungen gefragt. Wir äußern uns auch regelmäßig in finanzwirtschaftlichen Analysen – auf der Grundlage von Fakten, die von der Regierung auch nicht bestritten werden.
Man kann den Eindruck gewinnen, dass beide Seiten – Regierung auf der einen, der Rechnungshof auf der anderen – bei dieser Kritik schnell missverstanden werden. Wie sehen Sie das?
Kay Scheller: Die Regierung ist in dem Moment ja in der Defensive. Also, ich habe ja auch in einer Mehrheitsfraktion mal eine organisierende und koordinierende Funktion gehabt. Ich habe das Kanzleramt kennengelernt, zwei Bundesressorts, habe meine erste Zeit in der damals aufgebauten Staatskanzlei in Schwerin im Bereich Medienrecht, Medienpolitik verbracht. Jedenfalls ist es für mich sehr hilfreich im Amt des Präsidenten des Bundesrechnungshofs, dass ich Erkenntnisse, Erfahrungen und Wissen habe aus meiner Berufstätigkeit in diesem Bereich. Das hilft ungemein, und das Netzwerk und eben von der anderen Seite. Eine Mehrheitsfraktion sichert im Grunde genommen Regierungspolitik ab. Die Linie, die Grenze zwischen Opposition und Koalition geht quer durchs Parlament und nicht über die reine Lehre der Gewaltenteilung. Worauf ich hinaus will:
Das Verteidigen von getroffenen Entscheidungen gehört bei der Exekutive immer dazu, und da ist man automatisch in der Defensive, wenn eine Schwachstelle vom Rechnungshof erkannt wird.
Aber das ist eben unser Auftrag. Wir sollen ja gerade die Erkenntnis liefern, damit man dann Dinge abstellen, korrigieren, besser machen kann und die Finanzmittel ins Ziel kommen und nicht ins Leere gehen.
Wenn man die Unterschiedlichkeit der Länder sieht, auch deren sehr unterschiedliche Verwaltungsstärke, macht man sich da nicht auch Sorgen um den Föderalismus? Es gibt doch offenkundig eine Unausgewogenheit der Länder. Die einen werden immer stärker, andere schaffen es gar nicht im finanztechnischen Sinne.
Kay Scheller: Das Grundgesetz von 1949 hat ja eine klare Entscheidung getroffen, dass die Verwaltung Ländersache ist und grundsätzlich in den Ländern stattfindet. Das ist auch richtig so, das ist sehr bürgernah, das ist ortsnah. Und wenn ich diese Aufgabenverantwortung habe, muss ich dafür auch finanziell ausgerüstet sein. Das ist aber nicht mehr so, weil viele Dinge, die auf lokaler Ebene passieren, inzwischen aus dem Bundeshaushalt finanziert werden. Das ist per se nicht gut, weil der Bund im Grunde viel zu weit weg ist. Beim Öffentlichen Personennahverkehr kann man das aktuell gut sehen. Viele Finanzmittel stellt der Bundeshaushalt zur Verfügung – was ihm die Bürgerinnen und Bürger über ihre Steuern sozusagen treuhänderisch auch ermöglichen. Wir haben in den vergangenen Jahren gesehen, dass die Länder in bestimmten Bereichen 4 Milliarden Euro jahrelang ungenutzt auf die hohe Kante legen. Die Gelder werden vom Bund bereitgestellt, aber von den Ländern nicht ausgegeben. Tatsächlicher Bedarf vor Ort und bereitgestellte Mittel sind offensichtlich nicht miteinander synchronisiert. Das ist nur ein Beispiel für das Auseinanderfallen von Aufgaben- und Ausgabenverantwortung. Und das ist ungesund. Eigentlich müsste die jeweilige Ebene das Geld schon direkt über ihren Steuerertrag einnehmen, um damit vor Ort haushalten zu können und zwar zielgenau.
Würden Sie sich wünschen, dass ein Rechnungshof mehr Eingriffsmöglichkeiten hat, als er heute vorfindet?
Kay Scheller: Die Gewaltenteilung des Grundgesetzes unserer Bundesrepublik ist klug, und ich würde sie nicht antasten. Wir haben über unseren Finanzkontrollauftrag einen Blick von außen, eben extern und unabhängig. Wir haben keine exekutiven Befugnisse, aber dafür sehr weitgehende Erhebungsrechte, dürfen alles in der Verwaltung sehen. Und über unsere Erkenntnisse berichten wir dem Bundestag, der im System der Gewaltenteilung – ausgerüstet mit den von uns gelieferten Fakten – die Verwaltung kontrolliert und Abhilfe schaffen kann.
Lieber Kay Scheller, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.