Ein Gespräch mit
Stefanie Hubig

Präsidentin der Kultusministerkonferenz (KMK)

Wir müssen für mehr Vergleich­­bar­keit sorgen – und die Unterschiede abbilden können?

Liebe Stefanie Hubig, als Bildungsministerin des Landes Rheinland-Pfalz nehmen Sie seit 2016 auch regelmäßig an der Kultusministerkonferenz teil. Ist das eigentlich ein schöner Job?

Es ist ein schöner, aber auch ein herausfordernder Job. Es ist deshalb ein sehr schöner Job, weil man eben als Vertreterin oder als Vorsitzende viel mit den Kollegen in Kontakt ist und auch viel koordiniert. Gerade in diesen Zeiten, jetzt in der Coronakrise, haben wir einen sehr engen kollegialen Austausch und versuchen eben auch, gemeinsam die Dinge auf die Spur zu setzen.

Hat sich in der Bildungspolitik ganz allgemein in den vergangenen 20, 30 Jahren viel in Deutschland getan?

Ja, es hat sich etwas verändert. Wir haben nicht mehr diese grundsätzlichen Strukturdebatten, die vor allen Dingen auch aus den verschiedenen politischen Lagern geführt worden sind. Über grundsätzliche strukturelle Reformen wird bei uns eigentlich nicht mehr in vor allem ideologisch gegensätzlichen Positionen diskutiert, sondern wir haben die Situation, dass wir in den Ländern alle vor ähnlichen Herausforderungen stehen. Natürlich haben die Länder auch unterschiedliche Schulsysteme, die historisch auch aufgrund politischer Entscheidungen entsprechend gewachsen sind. Aber wir stehen trotzdem in allen Ländern vor den gleichen Herausforderungen: Wie gehen wir damit um, dass wir die Schüler, die in sozial schwierigen Verhältnissen leben, besonders fördern können? Wie können wir es insgesamt schaffen, genug Lehrkräfte in den Schulen zu haben, genug Lehrkräfte auszubilden? Wie können wir, wenn wir uns die Ergebnisse aus der Pisa-Studie zum Beispiel nehmen, dafür sorgen, dass die Schüler die Mindestanforderungen und auch die Regel und die Maximalanforderungen gut erreichen? Das sind im Moment die Themen, mit denen wir uns sehr vordringlich beschäftigen. Wir sehen schon, dass die ostdeutschen Länder bei der Frage Hort, Ganztagsschule eine ganz andere Struktur haben als die süddeutschen oder die CDU-geführten Länder.

Bildungspolitik ist auch einer der politischen Brennpunkte, in dem Unterschiede zwischen Ost und West konkret erlebt werden. Ist es in den vergangenen drei Jahrzehnten, da es jetzt 16 Bundesländer sind, eher noch schwieriger geworden in der Kultusministerkonferenz? Oder hat sich mit den ostdeutschen Ländern auch eine neue Perspektive ergeben? Ist vielleicht sogar aufgrund der Erfahrungen, die diese Länder mitgebracht haben, manches jetzt leichter?

Das kann ich aus eigener Erfahrung nicht beurteilen, also wie die Zusammenarbeit vor 1990 war, denn ich bin ja erst seit vier Jahren in Rheinland-Pfalz Bildungsministerin. Aber ich empfinde das, offen gestanden, eher als Bereicherung, nicht als Problem – wie ich überhaupt den Bildungsföderalismus als Bereicherung empfinde. Ich weiß, dass viele den Bildungsföderalismus eher als Flickenteppich beschreiben würden. Ich denke aber, das Bild wird überstrapaziert. Natürlich sehen wir auch, dass manches anders in anderen Ländern läuft.

Aber wir lernen eben auch voneinander. Wir versuchen auch vor allem, zu mehr Transparenz und auch zu mehr Vergleichbarkeit zu kommen. Das ist ein wichtiges Ziel, was wir jetzt im Rahmen der Kultusministerkonferenz verfolgen.

Wir haben in den vergangenen Jahren ja Bildungsstandards entwickelt, an denen wir immer weiter arbeiten. Wir wollen schon als Länder nicht völlig frei schaffend sein, sondern gemeinsame Standards für Deutschland vorgeben. Wir versuchen, beim Abitur möglichst ähnliche Regelungen zu bekommen, um Vergleichbarkeit herzustellen. Es gibt jetzt zentrale Elemente in den Abituraufgaben, die zu mehr Vergleichbarkeit führen werden. Daran arbeiten wir. Ich denke, das ist die Diskussion, die wir im Moment in der Kultusministerkonferenz haben. Wir wollen eine Ländervereinbarung, einen Staatsvertrag – die Rechtsform ist noch offen – schließen, wo wir noch mal mehr Vergleichbarkeit herstellen, uns gegenseitig dazu verpflichten, sozusagen nicht alles individuell zu regeln. Das zeigt schon, dass wir auch ein großes Interesse haben, für den Gesamtstaat gute Rahmenbedingungen in den Schulen zu schaffen.

Wie sehen Sie dann das Ende des nationalen Bildungsrates?

Das bedaure ich, denn die wissenschaftliche Beratung und Begleitung von Bildungspolitik und der ihr zugrunde liegenden Planung halte ich für enorm wichtig. Wir brauchen diese Expertise unbedingt. Deshalb bin ich auch froh, dass wir nach der Absage an den nationalen Bildungsrat durch Bayern und Baden-Württemberg uns in der Kultusministerkonferenz trotzdem einstimmig geeinigt haben, dass es ein Wissenschaftsgremium geben wird. Es soll die Kultusminister künftig beraten und Empfehlungen aussprechen – zu Zukunftsfragen, aber auch dazu, wie wir bundesweit zu mehr Vergleichbarkeit und Qualität im Bildungswesen kommen.

Dr. Stefanie Hubig

Dr. Stefanie Hubig
Staatsministerin und Ministerin für Bildung des Landes Rheinland-Pfalz und Stellvertretendes Mitglied des Bundesrates

1989 – 1995 Studium der Rechtswissenschaften an der Universität Regensburg
1996 – 2000 Richterin am Landgericht Ingolstadt sowie Staatsanwältin bei der Staatsanwaltschaft Ingolstadt
2000 – 2005 Referentin im Bundesjustizministerium und stellvertretende Leiterin des Ministerinbüros
2005 – 2008 Referatsleiterin im Bundesjustizministerium
2008 – 2009 Referentin für Justiz in der Staatskanzlei des Landes Rheinland-Pfalz
2009 – 2014 Abteilungsleiterin im Ministerium der Justiz des Landes Rheinland-Pfalz
2014 – 2016 Staatssekretärin und Amtschefin im Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz
seit 2016 Staatsministerin und Ministerin für Bildung des Landes Rheinland-Pfalz und Stellvertretendes Mitglied des Bundesrates

 

Kultusministerkonferenz
(KMK)

Die Kultusministerkonferenz, offiziell Ständige Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland, befasst sich seit ihrer Gründung 1948 mit Fragen der Bildungs- und Forschungspolitik sowie der Kulturpolitik, die in den Aufgabenbereich der Länder fallen, bei denen aber eine Koordinierung und Abstimmung der verschiedenen Landespolitiken erwünscht ist, aber es geht auch um die Interessenvertretung der Länder in diesen Fragen gegenüber dem Bund.
Eines der wichtigen und politisch beachteten Themen der KMK ist die Qualitätssicherung, vor allem in den Schulen. Durch Vereinbarungen, die allerdings von allen 16 Ländern angenommen werden müssen, sollen gemeinsame Standards für die jeweiligen Schulabschlüsse festgelegt werden. Schwierigkeiten entstehen häufig dadurch, dass die KMK selbst keine Entscheidungsbefugnis besitzt, sondern die einzelnen Länder zuständig sind. Daraus ergibt sich der Zwang zur Einstimmigkeit, der die Abstimmungsverfahren kompliziert werden lässt.

Noch mal zurück zum Thema Kinderbetreuung, Hort, Ganztagsschule – hat die ostdeutsche Sicht die Diskussion in diesen Fragen beschleunigt?

Ich denke schon. In Rheinland-Pfalz bin ich als Bildungsministerin auch zuständig für die Kindertagesstätten.

Und ich bin überzeugt, dass die Erfahrungen, die die ostdeutschen Länder mitgebracht haben – Ganztagsschule, Hort, viel mehr Kinderbetreuung, als das in Westdeutschland üblich war –, dass sie schon auch die Entwicklung in den westdeutschen Ländern beschleunigt und die westdeutschen Länder davon profitiert haben.

Sie sagen, bei Ihnen als Bildungsministerin liegt auch die Zuständigkeit für die Kindertagesstätten. Wäre es nicht sinnvoll, die Kindertagesstätten in den Bereich der Bildung miteinzugliedern, sodass man eigentlich Bildung aus einem Guss machen könnte?

Bei uns ist es so, dass wir die Kitas ins Bildungsministerium geholt haben, weil wir der Meinung sind, dass es sich hier um frühkindliche Bildungsstätten handelt, es sind Einrichtungen für frühkindliche Bildung. Der Übergang zwischen Kita und Grundschule muss aus meiner Sicht gut verzahnt sein, besser verzahnt sein, als das gegenwärtig manchmal noch der Fall ist. Da kann ich jetzt aber nur für Rheinland-Pfalz sprechen, denn da hat jedes Bundesland auch so ein bisschen ein anderes Modell. Manche haben ja Vorschulen, andere Länder haben das nicht, sondern haben das Kita-Grundschule-System. Aber ich glaube, was in allen Ländern eben ähnlich ist, ist, dass man sagt, dieser Übergang von Kita zu Grundschule muss gut gelingen und Kita muss ein Stück weit auch auf die Grundschule zumindest im letzten Jahr mit vorbereiten.

Aber ist schon mal darüber nachgedacht worden, den Kindergartenbereich in den Bildungsstrukturen eben auch organisatorisch miteinzugliedern, was die Zuständigkeiten betrifft?

Bei uns noch nicht. Aber das liegt auch daran, dass nach unserer Landesverfassung – das ist in anderen Ländern genauso – die Kindertagesbetreuung eine Aufgabe der Kinder- und Jugendhilfe ist und damit eine kommunale Pflichtaufgabe. Das heißt, wir sind als Land anders als bei den Schulen, wo wir ja qua Verfassung dafür zuständig sind, bei der Kindertagesbetreuung nicht zuständig. Das fällt in den Zuständigkeitsbereich der Kommunen, die das dann mit den freien Trägern organisieren. Wir als Land unterstützen finanziell und geben die Rahmenbedingungen vor, aber wir organisieren sozusagen nicht in eigener Zuständigkeit die Kindertagesbetreuung. Deshalb müsste man dann wahrscheinlich die Verfassung ändern, auch auf Bundesebene vermutlich.

Fern aller Rahmenbedingungen, wäre das aus Ihrer Sicht ein logischer Schritt, mit Blick auf das Beispiel Skandinavien?

Ich weiß nicht, ob die Umorganisation die richtige Antwort ist.

Aber ich glaube, was wichtig ist, dass wir stärker berücksichtigen und daran arbeiten, dass die Bildungskette nicht erst mit der Schule anfängt. Sie sollte mit der Kita anfangen.

Daran müssen wir arbeiten, dass es einen roten Faden entlang der Bildungskette gibt und eben die Angebote zwischen Kita und Grundschule und dann auch zwischen Grundschule und weiterführenden Schulen gut miteinander verzahnt sind.

Da ist in den vergangenen Jahren tatsächlich schon viel passiert. Um noch mal zurück auf das Thema Föderalismus zu kommen: Wahrscheinlich hat Deutschland dieses Instrument der Kultusministerkonferenz für sich alleine – Frankreich und andere zentralistisch strukturierte Länder, die kennen doch so was gar nicht, oder?

Soweit ich weiß, nein. Das ist bei uns eben die Besonderheit, dass haben wir auch auf Bundesebene, diese ein bisschen gespaltene Zuständigkeit. Wir haben zwar ein Bundesbildungsministerium, aber der wesentliche Anteil der schulischen Bildung läuft in den Ländern in eigener Verantwortung, in eigener Zuständigkeit. Und da ist dieser freiwillige Zusammenschluss der Kultusministerkonferenz auch ein Zeichen dafür, dass wir sagen: Wir wollen uns koordinieren, und wir wollen eben auch, dass das, was notwendig ist, auch koordiniert abläuft.

Wie sehen Sie das Kooperationsverbot, also dass der Bund keinen Einfluss auf die Länder ausüben darf?

Das Kooperationsverbot ist aus guten Gründen verfassungsrechtlich geregelt und Ausfluss des Bildungsföderalismus. Gleichzeitig ist Bildung aus meiner Sicht aber eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, an der sich Bund, Länder und Kommunen angemessen beteiligen müssen. Gute Bildung braucht Geld und zwar viel Geld. Deshalb macht Kooperation auch in diesem Bereich Sinn – in den etwas weiteren Grenzen, wie sie jetzt gesteckt wurden.

Inhaltlich ist und bleibt Bildung aber Ländersache, allerdings ist es bei den großen Themen unserer Zeit, wie beispielsweise der Digitalisierung, notwendig, dass wir als Länder mit dem Bund und den Kommunen zusammenarbeiten.

Dass das grundsätzlich gelingen kann, zeigt der Digitalpakt.

Trotzdem: Schaut man da manchmal auch ein bisschen neidisch auf die Länder, die zentralistisch ihr Schulsystem organisiert haben? Oder sagen Sie: Dieser Wert der 16 unterschiedlichen Länder und variierenden Schulsysteme mit dem Bund zusammen, das ist eigentlich was, was man schätzen gelernt hat?

Also, vielleicht guckt der Bund manchmal ein bisschen neidisch da drauf. Aber das denke ich gar nicht. Aus guten Gründen ist der Bildungsföderalismus im Grundgesetz verankert und verankert worden von den Vätern und Müttern des Grundgesetzes aus den Erfahrungen auch des Nationalsozialismus heraus. Wir sehen heute schon, dass wir uns durch diesen Bildungsföderalismus auch wirklich gegenseitig befruchten. Ich glaube, dass dazugehört, dass wir eine gute Zusammenarbeit innerhalb der Kultusministerkonferenz haben. Wir sind seit einem guten Jahr daran, die Zusammenarbeitsformen zwischen den Ministern auch auf der politischen Ebene zu intensivieren und zu verstärken, auch unbürokratischer zu machen. Die Coronakrise hat bei uns dazu geführt, dass wir auf der Minsterebene in einem so engen Kontakt sind, wie wir das wahrscheinlich noch nie zuvor waren. Wir telefonieren sehr viel miteinander, sehr kurzfristig auch, und stimmen uns ab, tauschen Erfahrungen aus.

Das ist eine Art von Bildungsföderalismus, der eine wirkliche Bereicherung ist, weil wir dabei von den anderen jeweils lernen, weil wir nicht einen Fehler 16 Mal machen, sondern sehen können, was funktioniert, was funktioniert nicht, und unser System dann auch entsprechend anpassen.

Ich glaube, dass ein Bildungszentralismus, bei dem ein Minister dann für alle Schüler in ganz Deutschland zuständig ist, ein ganz, ganz großer Tanker wäre. Ich sehe das ja schon bei uns: Wir haben 1.600 Schulen in Rheinland-Pfalz, 525.000 Schüler, 43.000 Lehrkräfte. Das ist schon ein riesiges System. So ein System dann mal 16 zunehmen, glaube ich, führt nicht dazu, dass es schlagkräftiger und unbürokratischer ist.

Ärgert Sie manchmal auch ein bisschen die öffentliche Kritik? Die Bildungspolitik als föderales Aushängeschild wird ja ständig von allen Seiten der kritischen Bewertung unterzogen.

Ich verstehe die Kritik da, wo es zum Beispiel darum geht, aus einem Bundesland in ein anderes zu ziehen und es da wirklich Schwierigkeiten gerade auch für Eltern gibt bei der Schulwahl, bei der Schulsuche. Da müssen wir als Länder für bessere und leichtere Übergänge und mehr Vergleichbarkeit sorgen. Das habe ich ja gerade schon gesagt. Aber manchmal ist die Kritik auch sehr wohlfeil, würde ich sagen. Natürlich ist die Situation unterschiedlich zwischen den Ländern, aber im Übrigen ist auch die Situation in den Ländern unterschiedlich.

Es ist ein Unterschied, ob ich eine Schule in einer Stadt in einem Brennpunkt habe oder auf dem Land in einer sehr homogenen Bevölkerungsumgebung. Die Unterschiedlichkeit der Schule liegt natürlich auch in den Gegebenheiten vor Ort. Und diese Unterschiedlichkeit werden wir nie wegbekommen.

Ich finde auch, wir müssen sie nie wegbekommen. Wir brauchen klare und einheitliche Rahmen und auch klare Bedingungen, aber wir müssen auch ein Stück weit die Vielfalt und die Unterschiede im Land, aber auch unter den Ländern, die regionalen Unterschiede, mit abbilden können. Ich glaube, dann funktioniert Schule auch gut.

Noch eine Frage zum Schluss: 30 Jahre Wende und mancher unversöhnlicher Sicht auf die jeweiligen Vor- und Nachteile der Bildungssysteme vor 1990, wo ist der versöhnliche Ansatz und ist das eher ein Problem der Älteren in der Bildung?

Unsere Schüler erlebe ich so, dass die deutsche Teilung für sie in der Regel nur noch ein historisches Thema ist und sie Deutschland als einen föderalen, nicht aber einen ehemals geteilten Staat wahrnehmen. Sie denken längst nicht mehr in den Kategorien, mit denen meine Generation aufgewachsen ist. Das ist der richtige Ansatz, und ich halte es immer für klug, sich die guten Dinge bei anderen abzuschauen. Da gilt für die ehemals westdeutschen Länder, dass sie eben viel in Sachen Kindertagesbetreuung lernen konnten und gelernt haben. Heute stehen wir alle gemeinsam vor ähnlichen Herausforderungen in unserem Bildungssystem. Wir sollten sie – im Föderalismus – gemeinsam angehen, uns austauschen und alle voneinander lernen.

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